Chair is King!

Geckeler Michels · Berlin · Deutschland

Kohlrabenschwarze Kaffeebecher, geometrische Side Tables und flammenrote Barhocker – das Designduo Geckeler Michels will sich nicht festlegen. Nur eins ist klar: Von Stühlen können Sie die Finger nicht lassen.

Porträt von anna · Fotos Ana Santl · 8. Juli 2016

„Die sehen aus wie eine schwarze Matroschkafamilie!“, sagt die Fotografin lachend, und es stimmt: Die Mugs, die das Berliner Designerduo Geckeler Michels 2015 für den Kaffeesystemhersteller Nespresso entwarf, reihen sich wie eine Großfamilie aneinander. „Dennoch hat jeder Becher seinen eigenen Charakter“, sagt David Geckeler, „das Größenverhältnis ist nicht linear.“ Frank Michels fügt hinzu: „Natürlich gibt es in solchen Fällen klare Vorgaben, was Diameter, Füllhöhe und Aromaentfaltung anbelangt.“ Wie ein Wein zur Entwicklung das richtige Glas braucht, beeinflusst auch bei Kaffee Wanddicke und Form das Bouquet. „Da arbeitet man mit einem so genannten Sensory Team zusammen – einer Art Feinschmeckereinheit, ähnlich wie die Weinverkoster“, so Geckeler.

David Geckeler und Frank Michels stehen hinter großen Schaufenstern in ihrem Büro und Showroom in der Treptower Straße in Berlin-Neukölln. Es ist eine Adresse etwas abseits des hauptstädtischen Alltagstrubels. 2013 war der Startschuss für die gemeinsame Selbstständigkeit, beide waren gerade mit ihrem Studium fertig. David Geckeler brachte mit seinem 2011 noch als Student der Kopenhagener Akademie entworfenen, preisgekrönten Stuhlentwurf Nerd einen soliden Grundstein mit. Die beiden Industriedesigner stehen für funktionales Design, das eher kühl als verspielt ist. Schwerpunkt in ihrem Portfolio sind Stühle, die bei allem Spiel mit geometrischen Formen immer minimalistisch anmuten.

Nespresso
Nespresso
Nespresso Cup
Geckeler Michels Modelle
Geckeler Michels Interview
Geckeler Michels Interview

Dass sich Nespresso nach Sichtung verschiedener Entwürfe von mehreren Designern für Geckeler Michels entschied, liegt an ihrem nordischen Stil, ist David Geckeler sich sicher, – und weil sie eine jüngere Konsumentengruppe ansprechen wollten. Trotz nordischem Duktus sagt die Tassenfamilie viel über den Sinn der beiden Designer für das Subtile und Feinsinnige, was sich in Verarbeitung und Texturvielfalt widerspiegelt: innen und am Becherrand glasiert, außen mit einem Silikonring umfasst, darunter das eher raue Bisquitporzellan.

Die Farbwahl ist wiederum eine eigene Geschichte: Silber und Schwarz standen für die Farbgebung der Becher auf der No-Go-Liste, die von Nespresso im Vorfeld verschickt wurde. Silber, weil es die Crema grünlich schimmern lässt, Schwarz wegen des fehlenden Kontrasts. Da sich die Designer aber nur ungern zurechtbiegen lassen und Nespresso an der richtigen Stelle Prinzipien Prinzipien sein ließ, wurde das Ergebnis schwärzer als schwarz, nämlich kohlrabenschwarz: „Das Porzellan ist komplett pigmentiert, das heißt, zerbricht eine Tasse, sind die Scherben auch innen komplett schwarz“, sagt Geckeler.

„Wir empfinden uns als neue Gestaltergeneration.“

– David Geckeler

Der kunsthandwerkliche Aspekt war den beiden wichtig. Denn es ist vollkommen industrieunüblich, pigmentiertes Porzellan zu verwenden. Die Pigmente schwächen das Material, beim Brand kommt es leichter zu Brüchen. Das richtige Mischverhältnis muss also erst einmal ausgetüftelt und der Brennvorgang viel stärker observiert werden. „Es ist schön zu sehen, dass unser Entwurf nicht nur wertgeschätzt, sondern auch in einer hohen Auflage weltweit vermarktet wird“, sagt Frank Michels. Nicht nur des Ruhms wegen, sondern weil ein bisschen Extravaganz auch in diesen Dimensionen Platz gefunden hat.

Geckeler Michels Studio
Geckeler Michels Stühle
Geckeler Michels Stuhl Tisch
Geckeler Michels Showroom Neukölln
Geckeler Michels Showroom

Frank Michels und David Geckeler, beide 32, sehen sich als Innovatoren, die ihren Gestaltungen immer eine Prise Irritation untermischen. „Aber nur soviel, dass es nicht wirklich aneckt“, sagt Frank Michels. Der gebürtige Luxemburger studierte zunächst Architektur, dann Industriedesign, weil ihm bei der Arbeit als Architekt der Gesamtüberblick fehlte, der vom Entwurf über den Prozess und die Verwirklichung reicht – und damit auch das Gefühl, alles von A bis Z im Griff zu haben.

„Man muss nur beobachten, sammeln, gut zitieren, und in einen neuen Kontext setzen.“

– David Geckeler

David Geckeler, in der Schweiz geboren, aufgewachsen in Konstanz, entdeckte seine Liebe zur Gestaltung schon in der Waldorfschule. „Alles Handwerkliche habe ich gern gemacht – die Arbeit mit Stein und Holz, das Buchbinden”, selbst Kartonagen habe er hergestellt. Er sagt: „Wir arbeiten heute fast immer zuerst in 3D und dann im Anschluss entstehen Pappmodelle, danach die Prototypen.“ CAD heißt das von ihnen verwendete Computerprogramm, mit dem virtuelle dreidimensionale Modelle entstehen. So kann man neben Volumen die Lichteinwirkung und das Gewicht berechnen. Neue technische Möglichkeiten, die so manches erleichtern. Geckeler sagt: „Wir empfinden uns als neue Gestaltergeneration“.

Von Beginn der Zusammenarbeit an standen Stühle als Designobjekt im Zentrum ihrer Arbeit. Keiner der beiden großgewachsenen Männer empfindet das als redundant. „Wir freuen uns immer aufs Neue, wenn wieder ein Stuhlprojekt reinkommt“, sagt Frank Michels. „‚Chair is king – ist doch so ein Spruch“, sagt Geckeler, „da sind wir stolz drauf.“ Während die einen schon im Studium Zweifel hegen, weil zum Thema Stuhl doch schon alles gesagt sei, nimmt er eine andere Perspektive ein und zieht Parallelen zur Mode und Musik: „Man muss nur beobachten, sammeln, gut zitieren, und in einen neuen Kontext setzen.“

Geckeler Michels Portrait
Geckeler Michels im Gespräch
Farben
Geckeler Michels Büro
Geckeler Michels Details
Geckeler Michels Portrait
Regal
Geckeler Michels Regal
Inspirationen

David Geckeler ist nicht nur aus voller Seele ein Stuhlgestalter, sondern auch mit ganzem Leib: Ausführlich demonstriert er schaukelnd und hin und her rutschend die Vorzüge des 2011 lancierten Nerd Stuhls und des Loid. Nerd wurde vom dänischen Designlabel Muuto ins Programm aufgenommen und ist ein Bestseller. Ein Stecksystem ersetzt Schrauben des Schichtholzstuhls, der in seiner Konstruktion das skandinavische Holzhandwerk neu aufgreift. Inzwischen gibt es den Nerd auch als Barhocker und – in etwas niedrigerer Form – für den heimischen Küchentresen. „Die Anmutung der seitlich abfallenden Sitzfläche ist einfach ideal für die Bar, weil ich mich ohne weiteres in jede Richtung drehen kann“, sagt David Geckeler und führt die Barsituation mit Schwung auf einem flammenroten Modell des Hockers vor.

Abgesehen von ein paar Farbtupfern ist das Büro der Designer eher zweckmäßig gehalten, inklusive der Beleuchtung. In den großen Schaufenstern stehen ein paar ihrer Objekte, was Passanten öfters dazu bewegt, unvermittelt hineinzuspazieren. „Wenn ich dann frage, ob wir behilflich sein können, sagen sie ‚nein danke, ich schau mich nur mal um‘“, sagt David Geckeler und lacht. Ihr Ausblick auf die Treptower Straße wiederum bietet fast ein bisschen zu viel der Farbe: Gegenüber winken Deutschlandflaggen von Balkonen.

Da ruht das Auge vielleicht lieber auf dem jüngsten Stuhlobjekt, dem tiefblauen Acme, ein Stuhl aus dem Kunststoff Polypropylen mit variablen Untergestellen aus Stahl oder Holz, der die geometrischen Grundformen Kreis und Quadrat zusammenfügt. Nicht ganz ohne Stolz erwähnt Michels, dass die Stahlform für Acme – eine große Investition – von einem dänischen Hersteller gefertigt und im Herbst lanciert wird. Auch der Side Table Bias spielt mit Geometrie: Es wirkt, als müsse die runde Platte auf dem schrägstehenden zylindrischen Fuß erst einmal den Schwerpunkt ausloten. Der italienische Möbelhersteller Crassevig produziert die leichtgewichtigen Tische aus Formholz, deren lebendige Maserung die kühle Erscheinung bricht.

Geckeler Michels Portrait
Geckeler Michels Barhocker
Geckeler Michels Blau
Geckeler Michels Werkstatt
Geckeler Michels Werkstatt
Geckeler Michels Werkstatt Interview

Sakralartig, aber dezent strahlt die Lampe Pialla, die sie 2013 entwickelt haben. Ein Statement-Projekt, das ihr Know-how mit modernem Leuchtmittel unter Beweis stellen soll. „Als OLED – eine Flächenlichtquelle – aufkam, wollten wir dazu etwas platzieren“, erklärt Michels. Die OLED-Technologie kann eine Art Folie zur Lichtquelle machen. Hier ist das Zitat an die 1972 entworfene Schreibtischleuchte Tizio von Artemide erkennbar: Der Sockel erinnert daran und das filigrane Gestänge, das hier aber als Rahmen die Leuchtfläche einfasst.

Leuchten sind neben Polstermöbeln ein Thema, dem sich David Geckeler und Frank Michels zukünftig weiter annehmen wollen. Da sind sie sich mal wieder einig. Rausrücken, wie man sich ein Polstermöbel von Geckeler Michels vorzustellen hat, wollen sie jedoch nicht so richtig. Das liegt vielleicht daran, dass niemand etwas vorwegnehmen möchte, ohne sich zuvor mit dem anderen zu besprechen. „Es hat viel damit zu tun, wie ein Modedesigner arbeitet“, verrät David Geckeler, „also sehr plastisch.“ Nähte und Schnitte sehen sie als starke, formgebende Elemente für zukünftige Polsterprojekte. Man kann an ihrem konzentrierten Blick erkennen, dass sich dahinter schon erste Bilder entwickeln – Objektgestaltung im Anfangsstadium sozusagen.