Der Wein-Querulant

Manni Nössing · Brixen · Italien

Manni Nössing will mehr als nur exzellente Weine machen. Er möchte das gesamte Eisacktal in eine Marke verwandeln – mit einer Strahlkraft ähnlich der des Piemont.

Porträt von franziska · Fotos Peter Lorenz · 27. September 2015

Die wirklich großen Geschichten entstehen dort, wo die Dinge langsam zur Reife gelangen. Ob die Traube des Riesling, des Chablis oder des Champagner – sie alle sind es gewohnt zu kämpfen, gegen die Natur, gegen den Regen oder den Frost. Manni Nössing sagt: „Wächst etwas zu schnell oder zu einfach, entsteht selten etwas ganz Großes daraus“.

Weißweine Eisacktal

Das Eisacktal ist ein klassisches Weißweinanbaugebiet und das nördlichste Italiens. Jedes Jahr werden einige der Weine von Gambero Rosso ausgezeichnet, dem bekanntesten italienischen Weinführer. Das Eisacktal ist für seine spritzigen, charakterstarken Weißweine bekannt. Um die 1.700.000 Flaschen werden hier jährlich produziert, vor allem Müller-Thurgau, Kerner und Sylvaner, aber auch Gewürztraminer und Veltliner sind darunter.

Nössing selbst ist auch eine Kämpfernatur. Schon sein Äußeres zeugt davon: Knapp zwei Meter groß und Muskeln, die einem Profi-Boxer gehören könnten. Manni Nössing ist 44 Jahre alt und Winzer, geboren und aufgewachsen in Brixen im Südtiroler Eisacktal. Trifft man ihn in seinem Haus am Rand seiner Weinberge, steckt man schnell tief drin in einer hitzigen Diskussion über die hiesige Gastronomie- und Winzerlandschaft, Südtirol und die italienische Gesellschaft im Allgemeinen. Der Nössing, wie man ihn in der Gegend auch nennt, gilt als Querdenker, als Querulant. Er ist einer, der seine Ansichten gerne kundtut. Wenn es sein muss, wird er dafür auch laut und provokativ. „Sollte ich das Glück haben, 80 Jahre alt zu werden, möchte ich mit dem Gefühl auf mein Leben zurückblicken, etwas getan zu haben“. Um zu verstehen, was Manni Nössing damit meint, muss man ihn etwas ausholen lassen.

„Alle sprachen drüber: Der Nössing steigt aus der Genossenschaft aus! Und für meinen Vater und mich bedeutete es zehn Jahre lang Kalter Krieg.“

– Manni Nössing

Dann erzählt er von der Zeit, Ende der 90er, als sein Vater ihm gut fünf Hektar Weinanbaugebiet und fünf Kühe vererbte. „Mein Vater war Traubenlieferant, wie damals die meisten Weinbauern hier, am Ende der Saison gaben wir die gesamte Ernte bei der Genossenschaft ab“, sagt Nössing. Für ihn war schnell klar, dass ihm das nicht reichte, dass er unbedingt selbst Wein produzieren und vermarkten wollte. „Und plötzlich war ich für die Genossenschaft ein Konkurrenzbetrieb“. Also musste er sich entscheiden: ganz mit denen oder ganz allein. Er entschied sich für den Alleingang. Was für den Vater einem Affront gleichkam, war für die Gemeinde eine ungeheure Neuigkeit. „Alle sprachen drüber: Der Nössing steigt aus! Und für meinen Vater und mich bedeutete es zehn Jahre lang Kalter Krieg“, sagt Nössing. Der Vater war besorgt, dass sein Sohn alles auf eine Karte setzte und womöglich sein ganzes Erbe verspielte. Manni Nössing sagt: „Wissen Sie, das Zittern und das Angsthaben, das Uuh- und das Aah-Sagen, das ist in Südtirol äußerst beliebt“.

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Bereut hat er seine Entscheidung nie. Hört man Manni Nössing einen Nachmittag lang zu, begleitet ihn bei einem seiner vielen täglichen Streifzüge durch die Weinberge, beobachtet ihn, während er tut, was er besonders liebt, – „ich muss spüren, wie das da draußen wächst“ –, wird klar, was ihn wirklich antreibt. Längst könnte er zufrieden sein und sich auf das konzentrieren, was er in den vergangenen 15 Jahren erreicht hat – 50.000 Flaschen Weißwein produziert Nössing jedes Jahr, „das reicht, mehr geht gar nicht für einen Betrieb wie meinen, und mich neu aufstellen, das will ich nicht“. Für seinen Kerner und Grünen Veltliner hat er etliche Auszeichnungen erhalten, in der Gastronomie genießen seine Weine einen exzellenten Ruf. Was Manni Nössing antreibt, hat wenig mit größeren Erträgen oder mehr Produktivität zu tun. Er möchte den Leuten der Gegend das Zittern austreiben. „Alle sagen immer: Reg dich nicht so auf! Doch ich war schon immer kritisch und lernte früh, für die Sache zu kämpfen“, sagt Nössing. Die Sache, das ist für ihn in diesem Fall das Eisacktal als Marke.

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Denn zeitgleich mit Nössings Alleingang begannen auch andere, junge Weinbauern im Eisacktal eigene Weißweine zu produzieren. Mancher von ihnen macht heute 6.000 Flaschen im Jahr, ein anderer bis zu 100.000. „Uns vereint, dass wir alle junge Winzer sind, die ihr Weinanbaugebiet in zweiter Generation bewirtschaften und in erster Generation Wein selbst produzieren“, sagt Nössing. Irgendwann stellte er sich die Frage: Wenn jeder für sich kämpft, wie viel Strahlkraft kann man da langfristig erzeugen? Also tat er sich mit anderen Betrieben zusammen. Zunächst wollten sie Erfahrungen austauschen, voneinander lernen, irgendwann wurde ein Verein daraus, sie nannten ihn „Eisacktaler – Höchste Lagen, beste Weine“. Und mit dem Verein wuchs die Vision.

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Mittlerweile sind 20 Winzerbetriebe Mitglieder, es gibt einen Direktor, eine Agentur, die das Ganze begleitet. Sie organisieren Verkostungen im Eisacktal, treten geschlossen bei Weinveranstaltungen auf, auch im Ausland. Gerade liegt ihr Fokus auf dem Ausbau von Kooperationen mit Restaurants, Hotels und den hiesigen Tourismusverbänden. So wollen sie den Eisacktaler Wein als Marke vorantreiben. „Das Piemont ist auch deswegen so groß geworden, weil dort sämtliche Unternehmen eine Vision verfolgten und sie sich gemeinsam als Piemont präsentierten“, sagt Nössing.

Nössings Weine

Einen Namen machte sich der Winzer 1995 mit einem großen Rotwein. Seitdem wurden seine Weine etliche Male mit den „Drei Gläsern“ von Gambero Rosso ausgezeichnet. Spritzig und frisch sind seine Kerner und Grünen Veltliner und damit auch als Statement zu verstehen: „Die ganzen Weine mit 15 Umdrehungen heute, da hast du ja sofort einen kleben!“, sagt Manni Nössing. Er entblättert seine Reben nicht mehr. Mehr Schatten macht die Trauben frischer, knuspriger, die Weine haben weniger Alkohol.

Die Strategie geht auf. Jedes Jahr erhalten die Eisacktaler Weine mehr Auszeichnungen und mit den Auszeichnungen wächst die Strahlkraft. Doch der Nössing wäre nicht Nössing, der Querulant, der Provokateur, wenn er nicht zuerst betonen würde, was noch alles schief läuft: „Was uns hier fehlt, ist die einfache, die traditionelle Gastronomie. Essen wie bei Mama!“, sagt Nössing. Viele Gastronomen kämen aus der Landwirtschaft und würden denken, sie müssten sich besonders hervortun, „durch all diese Verzierungen mit bunten Saucen, Selleriesoufflés und Rote-Beete-Carpacci. Doch wer braucht so etwas auf 2.000 Meter Höhe?“ Die Bescheidenheit ist den Menschen verloren gegangen. Sie sollten sich durch das hervorheben, was sie hier können. „Guter Käse, gute Pasta, gutes Olivenöl”, sagt Nössing laut: „Das ist doch unser Benzin!“ Aber da sei sie wieder, „diese Südtiroler Angst, dass einfach zu wenig ist“.

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Als Präsident von „Eisacktaler – höchste Lagen, beste Weine“ weiß er, mit welchen Erwartungen mancher Winzer an den Verein herantritt. „Ich sage denen: Du brauchst nicht denken, du kommst her und dann geht’s dir besser. Du musst selbst was für deine Weine tun, dann geht’s mit dem Verein und auch für dich voran.“ Es ist diese passive Einstellung, die ihn zwar hin und wieder laut werden lässt, gegen die es aber auch genießt zu kämpfen. Er mag es, den Menschen einen Spiegel vorzuhalten, ehrlich und direkt: „Früher träumte ich davon, Sänger einer Band wie Coldplay zu werden und vor 250.000 Menschen zu spielen“, sagt Nössing. „Jetzt bin ich Präsident unseres Eisacktaler Vereins, und spreche zu 250.000 Einwohnern. Das ist doch was!“