Möbel zum Spielen

Böwer · Neuenkirchen · Deutschland

Sie arbeiten mit all den Großen: Werner Aisslinger, Konstantin Grcic, Eric Degenhardt. Die Geschwister Anja und Stefan Böwer haben einen 112 Jahre alten Tischlereibetrieb in eine Marke für erstklassiges Möbeldesign verwandelt.

Interview von franziska · Fotos Peter Lorenz · 10. Januar 2016

Ein moderner, kastenförmiger Bau, die vordere Fassade ist fast komplett aus Glas. Dahinter sitzen die Geschwister Anja und Stefan Böwer und ihr Team an großen Schreibtischen. Von hier kann man den Blick gut schweifen lassen über grüne Wiesen und Bäume. Es gilt: Vorne wird konzipiert, hinten realisiert. Das Großraumbüro trennt nur eine Wand von dem Tischlerbetrieb. Dort werden die Möbel der Böwer-Kollektion gefertigt, ebenso die Ausbauten der Megayachten, auf die das Unternehmen unter anderem spezialisiert ist. Sind die Objekte fertig, verlassen sie das Unternehmen durch die LKW-Zufahrt am anderen Ende des Gebäudes. Der Betrieb ist so logisch und klar konstruiert wie die Möbel der Geschwister Böwer. 1999 präsentierten Anja, 48 Jahre, und Stefan, 47 Jahre, erstmals ihre hauseigene Möbelkollektion, darunter auch der X-Tisch entworfen von Werner Aisslinger und der School von Konstantin Grcic.

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Frau Böwer, Sie sind studierte Architektin und gelernte Keramikerin. Herr Böwer, Sie haben eine Tischlerausbildung gemacht und Innenarchitektur studiert. Wussten Sie immer schon genau, wo Sie beruflich hinwollen?

Anja Böwer: Es war nicht unbedingt klar, dass ich hier einmal landen würde – aber es war immer klar, dass ich einen handwerklichen Beruf ergreifen möchte. In unserer Familie ging man davon aus, dass Stefan das hier machen würde. Klassisch halt – er ist der Mann, er übernimmt. Ich habe das nie in Frage gestellt, aber er. Stefan studierte in München, ich in Berlin, Neuenkirchen ist nicht gerade der Nabel der Welt. Nach langen Abwägungsprozessen haben wir beschlossen, wenn wir die Firma übernehmen, dann gemeinsam – mit einem klaren Fokus auf einer eigenen Linie für klassisches, geradliniges Design.

Böwer
1888 gründet Josef Haarmeyer die Dorftischlerei Haarmeyer in Neuenkirchen. Der Mann seiner Tochter Sophie, Otto Böwer, führt diese ab 1921 unter eigenem Namen weiter. Dessen Söhne Hubert und Reinhold übernehmen 1959 und machen die Tischlerei überregional für Innenausbauten bekannt. Seit 2000 führen Huberts Kinder Anja und Stefan Böwer die Firma. Sie lancieren eine eigene Möbelkollektion und spezialisieren sich auf den Ausbau von Yachten. Für die Kollektion arbeiten sie mit jungen Talenten und etablierten Designern zusammen, darunter Werner Aisslinger, Eric Degenhardt, Konstantin Grcic und Sebastian Heckner.

Stefan Böwer: Die Firma war ein normaler Tischlerbetrieb, der sich durch Auftragsarbeiten finanzierte. Wir brachten ein anderes Know-How mit, daher bieten wir heute neben unserer eigenen Kollektion auch den Innenausbau von Yachten an. Unsere Möbel sind nach wie vor nur ein Spiel-, kein Standbein. Man braucht einen verdammt langen Atem in der Möbelbranche.

Warum ist es so schwer, eine Möbelmarke zu etablieren – liegt das am Standort Deutschland?

AB: Deutschland ist ein ganz guter Standort, wir erreichen von hier aus viele Kunden aus Übersee. Aber es ist schwierig, den deutschen Markt zu bedienen, die Händler sind zurückhaltend, der Markt ist satt – es gibt Hunderte Firmen mit Produkten, deren Design und Qualität mindestens genauso gut sind wie bei uns. Viele Läden haben ein ähnliches Programm, die führen alteingesessene Firmen wie USM, Vitra. Die gelten als sichere Bank. Gleichzeitig schwappen jede Menge Skandinavier rüber.

„Es ist schwierig damit zu argumentieren, dass Böwer teurer ist, weil alles mit deutschen Lohnstunden gefertigt ist.“

– Anja Böwer

Wieso gelingt es denen, hier Fuß zu fassen?

AB: Vor allem, weil sie günstiger sein können. Eine Marke wie Hay lässt viel in Asien produzieren. Es ist schwierig damit zu argumentieren, dass Böwer teurer ist, weil alles mit deutschen Lohnstunden gefertigt ist.

In der Mode werden junge Designer ungern ins Sortiment aufgenommen, weil man lieber erstmal abwartet, wie sich eine Marke entwickelt. Der Handel zögert, weil er selbst sehr schwierige Zeiten durchlebt. Gilt das auch für Möbelmarken?

AB: Mittlerweile ja. Als wir vor 16 Jahren anfingen, waren wir fast blauäugig. Da standen wir in Köln auf der IMM, eine der größten Möbelfachmessen, und hatten zwei, drei kleine Produkte dabei. Gute Händler haben die gekauft.

Und Sie dachten: Wahnsinn – wie einfach!

AB: Genau so war’s. Wir waren sofort in dem damals sehr gefragten Philip Morris Design Katalog. Doch seit wir dabei sind, hat sich die Branche komplett gewandelt. Heute schaut sich der Fachhandel alles genau an und bestellt am Ende die günstigste Variante. Dass sich die Händler etwas Neues, Unbekanntes in den Laden holen, passiert selten und das ist wirklich ein Problem.

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Als Sie Ihrem Vater erklärten, dass Sie eine eigene Kollektion lancieren wollen – wie hat er reagiert?

AB: Zunächst war’s schwierig, wegen der ungeklärten Thematik, Übernahme des Betriebs oder nicht – keiner wollte es machen. Als wir uns dafür entschieden hatten, ließ er uns freie Hand. Ich weiß noch, dass wir sofort relativ viel Geld in die Möbelproduktion investierten. Er meinte nur, könnt Ihr ja machen – aber seid Ihr sicher?

„Klar, da kommen die Jungen, frisch studiert, aus München und Berlin, da ist man natürlich skeptisch. Nach wie vor ist es nicht immer einfach, bei den Mitarbeitern ein Verständnis für die Kollektion zu erzeugen.“

– Stefan Böwer

Einige Ihrer Mitarbeiter sollen die Übernahme durch Sie als nicht ganz einfach empfunden haben.

SB: Wir haben hier eine Mannschaft übernommen, die deutlich kleiner war als die heutige, und die erstmal gar nicht verstand, was wir vorhatten. Eines unserer ersten Produkte war der School von Konstantin Grcic, ein Beistelltisch, der an ein altes englisches Schulmöbel erinnert, davon haben wir 100 Stück produziert – und alle fragten sich, was das sein sollte. Klar, da kommen die Jungen, frisch studiert, aus München und Berlin, da ist man natürlich skeptisch. Nach wie vor ist es nicht immer einfach, ein Verständnis für die Kollektion zu erzeugen und dafür, warum wir uns für welches Produkt entscheiden. Manche sehen in erster Linie die Produktionsprobleme.

Und schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, wenn Sie mit Objekten wie dem Wooden Carpet von Elisa Strozyk daherkommen – einem dreidimensionalen Teppich aus Holz.

SB: Den haben wir aufgenommen, weil der unserem handwerklichen Ansatz entspricht, nämlich die Grenzen des Möglichen auszuloten. In der Presse lief der großartig, im Verkauf eher mäßig. Es gibt einige Leute, die gezielt hier arbeiten wollen, weil wir genau solche Dinge machen. Und es gibt eben diejenigen, die das alles nicht annehmen. Das sind die Hürden, die dazu gehören.

Wie würden Sie ein gelungenes Möbelstück definieren?

SB: Es muss funktionieren und es muss in irgendeiner Form schön sein, ohne zu sehr aufzufallen. Wir haben viele formal sehr starke Produkte, die schwer einzusetzen sind. Da versuchen wir mehr Objekte zu entwickeln, die sich stärker zurücknehmen, die eher auf den zweiten Blick ein besonderes Detail haben und die man gerne in die Hand nimmt.

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Ihre Aufträge im Schiffsausbau erfordern viel Diskretion. Für uns klingt das nach einer fast unwirklichen Luxuswelt. Lassen Sie uns etwas daran teilhaben. Was sind das für Jobs, die Sie da machen?

SB: Grundsätzlich sind es ausschließlich private Megayachten, in der Regel über 100 Meter lang.  Es sind immer Privatkunden, keine Kreuzfahrtschiffe, die hauptsächlich in deutschen oder niederländischen Werften gefertigt werden. Sehr selten trifft man die Eigner persönlich, in der Regel spricht man mit den Eignervertretern. Die Innenausbauten sind sehr hochwertig, technisch und qualitativ auf absolut höchstem Niveau – auch die Materialianforderungen sind jedes Mal extrem. Das Gewicht- und Brandschutzthema wird immer schwieriger, wir arbeiten fast nur noch mit Aluminium, weil nichts mehr brennbar sein darf. Ein wenig problematisch finden wir natürlich die oft schrecklichen Designs, ganz schlimm wird es, wenn die Yachten in den arabischen oder russischen Raum gehen.

Auf Ihrer Seite gibt es keinerlei Referenzen. Läuft dieses Geschäft ausschließlich über Empfehlungen?

SB: Ja, komplett. Es gibt einfach keine Bilder, das erste, was man unterschreibt, ist eine Vertraulichkeitserklärung.

Warum ist das so? Man könnte ja annehmen, dass gerade in Zeiten, in denen sich jeder auf irgendwelchen Interior-Blogs in seiner eigenen Wohnung präsentiert, auch die Inhaber solcher Megayachten zeigen wollen, was sie da Großartiges haben.

SB: Zu Anfang der Griechenland-Krise haben wir für eine der ganz großen, mittlerweile sehr umstrittenen griechischen Unternehmerfamilien ein Schiff ausgebaut. Es ging um ein Museumsschiff, das in Kroatien gebaut wurde und das auch das Imperium der Familie erklären sollte. Das war groß angekündigt, es sollte eine riesige Einweihung in Griechenland geben – doch dann ging es los mit der Krise. Am Ende wurde das Boot ganz im Stillen nach Griechenland überführt, wir wurden noch eingeladen, im engsten Familienkreis auf einer alten Schrottwerft mit so Mafioso-Typen am Einlass  – es durfte keiner mehr irgendwas von diesem Schiff wissen, weil das plötzlich überhaupt nicht mehr in die Zeit passte. Das sind wohl die Gründe dafür, dass in dieser Branche absolute Diskretion erbeten wird.

Nach welchem absurden Luxus wird da verlangt?

AB: Uns fällt gar nicht mehr auf, wie absurd manches ist. Kürzlich haben wir einen runden Innentisch gebaut, der sich je nach Gruppengröße vergrößern oder verkleinern lässt. Den kann man runterfahren und weitere Elemente hinzufügen oder wegnehmen. Ansonsten gilt: alle Türen sind motorisch betrieben, alle Fernseher sind versenkt und fahren hoch oder aus der Decke herunter. Alles ist immer auf dem neuesten Stand der Technik und ausgewählt werden die größten Modelle im Sortiment, sprich ein Fernseher kann schon mal 100.000 Euro kosten. Gewählt wird stets das Teuerste und Aufwändigste und damit hoffentlich das, was der Kollege gerade nicht hat.